Jan 262018
 

Grußwort StSE anlässlich der Veranstaltung „Die gemordete Stadt ‚Dritter Akt‘“ des Vereins zur Förderung der Denk-malpflege Denk mal an Berlin e. V. – 24. Januar 2018

Sehr geehrte Damen und Herren,
das Thema ist gut gewählt, auch wenn der Titel dramatisches befürchten lässt.
Ich bin der Einladung trotzdem gerne gefolgt, da das Thema der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes unter Wahrung der denkmalpflegerischen oder baukulturellen Eigenschaften nicht nur viele Akteure der Stadt berührt, sondern für unsere Stadt ein wichtiger Identifikationsfaktor ist. Ich möchte hier auch gleich noch daran erinnern, dass wir uns mitten im „Europäischen Kulturerbejahr“ ECHY befinden.

Ihr sehr polemisch gewählter Titel erinnert uns an das systematische Abschlagen von Stuckfassaden im Wiederaufbau nach dem Krieg. Diesem ‚Ersten Akt‘ folgte ein ‚Zweiter‘ im Zuge der Modernisierungs- und Sanierungswelle der 1960er/70er Jahre, als ganze Altbauviertel dem Kahlschlag zum Opfer fielen, bevor Bürgerproteste im ganzen Land ein Umdenken zu Denkmalschutz und sozialer wie „behutsamer Stadterneuerung“ bewirkten. Das Europäische Denkmalschutzjahr von 1975 ist ein grandioser Meilenstein der Bewegung. Heute, befürchten viele, drohen im Zuge der Energiewende erneut Stadtbild zerstörende Schäden. Diese erkenne ich so nicht, denn: Energetische Sanierung und Baukultur müssen keine Gegensätze sein!

Berlin ist eine Stadt, die ihr unverwechselbares Aussehen besonders der jüngeren Geschichte verdankt. Vor allem die städtebaulichen Anlagen und die Bauten des ausgehenden 19. Jahrhunderts (Gründerzeitbauten sowie eindrucksvolle Gewerbe- und Industriebauten), aber auch die Bauten und Siedlungen der 1920er und 30er Jahre und schließlich die Bauten der Nachkriegszeit, des Wiederaufbaus, des experimentellen Wohnungsbaus (Internationale Bauausstellungen) und des großmaßstäblichen Massenwohnungsbaus prägen das Stadtbild, die Quartiere und Straßenzüge.

Jede dieser Bauphasen besitzt einen unverzichtbaren Aussagewert für die Identität der Stadt und hat in ganz unterschiedlicher Weise, durch Einzelbauten, Siedlungen oder gar ganze Viertel qualitätsvolle Lebensräume geschaffen.
Das baukulturelle Erbe Berlins ist vielgestaltig. Seine städtebaulichen und gestalterischen Qualitäten sind für die Bewahrung des vielschichtigen Berliner Stadtbildes von hoher Bedeutung.

Dieses alte wie neue baukulturelle Erbe trägt zur Identifikation und emotionalen Bindung der Bewohner an ihr Quartier, ihre Stadt und zur hohen Attraktivität Berlins für Besucher und Zuwandernde bei. Die baulichen Qualitäten schaffen eine lebenswerte Umwelt und attraktiven Wohnraum, in dem sich die Bewohner gerne aufhalten und wohlfühlen. Die Erhaltung dieser Qualitäten und damit der ‚besonders erhaltenswerten Bausubstanz‘ Berlins unterstützt die städtische Bau- und Handwerkswirtschaft, da der Erhalt Know-how und handwerkliches Geschick erfordert. Der nachhaltige Umgang mit diesem baukulturellen Erbe erhält gleichzeitig die Energie, die gebraucht wurde, um das Gebäude zu errichten (sog. graue Energie) und leistet damit einen Beitrag zum Klimaschutz. Diese Qualitäten gilt es zu sichern und zu entwickeln!

Nur ein kleiner Teil dieses vielschichtigen baukulturellen Erbes ist als Objekt oder Ensemble denkmalgeschützt. Aber gerade die vielen, für eine Epoche, einen Baustil oder ein Quartier besonders „typischen“ Bauten, die (noch) nicht die Kriterien für einen Denkmalstatus erfüllen, prägen das Berliner Stadtbild und seine Identität. Sie tragen zur Besonderheit und Lebensqualität der Stadt bei und machen auch die Anziehungskraft der Stadt auf Besucher und Touristen aus. Abriss, unachtsame Sanierungsmaßnahmen, bauliche Veränderungen und der Druck aus Nachverdichtung durch rasantes Bevölkerungswachstum können die stadträumlichen und baugestalterischen Qualitäten und Charakteristika beeinträchtigen oder sogar zerstören. (Das wäre „Die gemordete Stadt, Teil 3“)

Aber: Berlin ist sich seiner Verantwortung für den Erhalt baukultureller Qualitäten bewusst! Es gilt, die für Stadtbild und Stadtgestalt besonders wichtigen, aber nicht denkmalgeschützten Gebäude, die noch in ihrer ursprünglichen und zeittypischen Form vorliegen, anhand anerkannter Kriterien und Beurteilungsparameter zu identifizieren und einen behutsamen Umgang mit ihren spezifischen Qualitäten und Merkmalen im Prozess des Weiterbaus der Stadt zu pflegen. Damit können sie auch in Zukunft ihre positive Wirkung für die Stadt und ihre Lebensqualität entfalten, als einzelnes Gebäude, Gebäudeensemble wie auch ganzer Block.

Erster Ansatz:
Zur einheitlichen Bestimmung „besonders erhaltenswerter Bausubstanz (BeBs)“ wird das Land für stadtbildprägende Wohnge-bäudetypen eine Arbeitshilfe herausgeben: Steckbriefe, die ihre baulichen und urbanen Qualitäten benennen.
In den Steckbriefen werden für die markantesten Gebäudetypen die stadtstrukturellen und gestalterischen Merkmale und Qualitäten, die die äußere Erscheinung betreffen, erläutert. Damit bieten sie vor allem den Bezirksakteuren eine Arbeitshilfe bei der Identifizierung und Zuordnung von besonders erhaltenswerte Bausubstanz ‘BeBs’. Erkenntnis ist das erste Ziel.

Zweiter Ansatz:
Fenster sind das wesentliche Funktions- und Gestaltungselement eines Hauses. Kein Bauteil hat so vielfältige Aufgaben zu erfüllen und nimmt Einfluss auf das Erscheinungsbild eines Hauses. In der Berliner Baukultur nimmt das Kastenfenster als Einzelbauteil eine besondere Stellung ein. Auf Grund der Vielseitigkeit und der prägenden Eigenschaft ist es ein Markenzeichen der Berliner Architektur und im Stadtbild stets präsent. Viele Städte haben bereits zu den verschiedenen Modernisierungswellen das ehemals historische Fenster in den Bauten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert verloren. Berlin aber hat früh die Qualitäten des Kastenfensters erkannt und bisher im Gebäudebestand erhalten.
Deshalb entsteht ein weites Netzwerk, welches sich auf Initiative der Obersten Denkmalschutzbehörde um den Erhalt des Kas-tenfensters kümmert: Die Handwerkskammer bietet in der Weiterbildung Lehrgänge zur fachgerechten Reparatur von Kasten-fenstern an. Und die durch die Oberste Denkmalschutzbehörde durchgeführte Informationsveranstaltung zum Kastenfenster am Tag des Offen Denkmals bestätigt, dass das Kastenfenster im Fokus der energetischen Sanierung steht. Es liegt bereits eine Übersicht über die verschiedenen Methoden der energetischen Verbesserung der Fenster in Zusammenarbeit mit der Archi-tektenkammer Berlin vor. Wichtig für den Erfolg sind starke Netzwerke. Von daher Dank an den Vorstoß von „Denkmal an Berlin“ zu diesem Termin.

Über die Identifizierung und Bestimmung der besonders erhaltenswerten Bausubstanz hinaus bedarf es jedoch weiterer Maßnahmen, um einen behutsamen Umgang und Erhalt der stadtstrukturellen und gestalterischen Qualitäten Berlins sicherzu-stellen.
Auf Grund noch fehlender gesetzlicher Regeln sind Eingriffsmöglichkeiten begrenzt, weshalb weitergehende Schritte und Maß-nahmen zu entwickeln sind. Auf der Bundesebene befasst sich inzwischen die Bundesstiftung Baukultur damit.

Die bestehenden Instrumente sind auf ihre Eignung zum Erhalt von ‘BeBs’ zu prüfen (Planwerke) und bei Bedarf durch einen Layer „Baukultur“ zu ergänzen. Auch neue, ergänzende Instrumente und Planungsverfahren sind zu entwickeln. Eine besondere Rolle können dabei informelle Planungsinstrumente wie Untersuchungen, Konzepte und Rahmenpläne (z.B. STEP ‘BeBs’ oder STEP Baukultur) spielen. Diese können die Grundlage für die Anwendung weiterer formeller Instrumente darstellen, z.B. von Er-haltungs- und Gestaltungsverordnungen oder Bebauungsplänen. Auch sind (informelle) Verfahren zu entwickeln, die es Be-hörden erlauben, vor Eingriffen in die baukulturell wertvollen Gebäude tätig werden zu können und mit Eigentümern in Kontakt zu treten. Wichtig sind dabei frühzeitiger Austausch und die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Stadtplanern, Denk-malpflegern und weiteren beteiligten Fachdisziplinen!

Ein wesentlicher Aspekt ist also die Kommunikation mit den Schlüsselakteuren: Eigentümer, Bauherren, Architekten, Planer, Energieberater und Baufirmen. Durch die weitgehende Genehmigungsfreiheit von (energetischen) Sanierungen kommt ihnen, und nicht nur den Behörden, eine entscheidende Rolle beim behutsamen Umgang mit den städtebaulichen und gestalterischen Qualitäten der Bausubstanz in Berlin zu.

Nötig ist eine Handreichung, wie die unterschiedlichen Ansprüche im Spannungsfeld von Lebensqualität und baukulturellem Anspruch, energetischer Effizienz sowie wirtschaftlichen und öffentlichen Interessen in Einklang gebracht werden können. Einen Beitrag liefert die Bestimmung der ‘BeBs’, mit den ergänzenden Steckbriefen, die aufzeigen werden, wo und wie eine energetische Sanierung baukulturkonform unter Beachtung bestehenden Lebens, Städtebau- und Gestaltqualitäten realisiert werden kann. Das kann ein Beitrag sein, um den baukulturellen Tod der Stadt hinauszuzögern.
Ich bin auf weitere Anregungen und Ideen gespannt, die Sie sicher in den folgenden Beiträgen darstellen.

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